#02 GEBURTSBERICHT: Die Geburt unserer Tochter Yara
Ich möchte von der Geburt meiner Tochter Yara erzählen… oder wie ich zum ersten Mal Papa wurde.
Meine damalige Freundin Katja und ich, mittlerweile sind wir verheiratet, erwarteten unser erstes Kind und wussten so ziemlich gar nichts über Geburt, Hebammen und Kindererziehung. Klar hatten wir so unsere romantisch verklärten Vorstellungen, aber wie sich herausstellen sollte, weichen Wunsch und Wirklichkeit manchmal ziemlich stark voneinander ab.
Nun waren wir also schwanger und absolvierten alle gedacht notwendigen Vorsorgeuntersuchungen bei Katjas Frauenärztin. Das war jedes Mal ziemlich aufregend, aber auch immer sehr medizinisch angehaucht und irgendwie fühlte es sich sehr kontrolliert und auch pathologisiert an. Aber wir wussten es ja nicht besser.
Die Schwangerschaft verflog geradezu und schneller als gedacht waren wir im letzten Trimester angekommen.
Es wurde Zeit, sich auf die Geburt vorzubereiten. Dazu hatten wir uns verschiedenste Kreissäale der Umgebung angeschaut, aber weder meine Katja noch ich konnten uns so wirklich vorstellen, in dieser klinischen Atmosphäre unser Kind zu empfangen. Ich muss hier erwähnen, dass meine Katja selbst im medizinischen Sektor arbeitete und wie man weiß, ist Fachpersonal meist der schlechteste Patient. Und so fühlten wir uns bei den Kreissaalbesichtigungen. Eher als Patient denn als entstehende Familie. Um wenigstens mal die Basics einer Geburt gehört zu haben, suchten wir also einen Vorbereitungskurs.
Lustigerweise wohnten wir zu diesem Zeitpunkt direkt neben dem „Geburtshaus am Treptower Park“.
Eigentlich wollten wir dann nur aus Bequemlichkeit zum Geburtsvorbereitungskurs nach nebenan, damit wir nicht durch die ganze Stadt fahren mussten. Wir hatten keinerlei Vorstellungen von außerklinischer Hebammenarbeit und gingen eher belustigt und mit absurden Vorurteilen zu unserem Wochenendkurs. Ich hatte mir so Yoga-Tanten ganz entspannt im Schneidersitz vorgestellt, die „Ohmmm“ sagten, mir dann meinen Namen tanzten, mit Räucherstäbchen wedelten, Heilkräuter in einem großen Topf rührten, während die Gruppe Geburtsschmerz weghechelte.
Aber schon nach wenigen Minuten wurden wir eines Besseren belehrt. Das Geburtshaus war fast wie ein gemütliches Wohnzimmer und nichts, aber auch gar nichts war esoterisch oder mutete irgendwie seltsam an. Alles war herzlich und doch professionell.
Der 2-tägige Kurs gefiel uns dann irre gut, weil er ganz sachlich enorm viele Fragen beantwortet hatte und uns dadurch und durch die Atmosphäre dort fast alle Unsicherheiten genommen hatte und gleichzeitig Vertrauen in eine selbstbestimmte Geburt vermittelt hat. Wir wollten dann auch sofort bei der kursleitenden Hebamme Katharina entbinden, was aber leider nicht möglich war, da sie aus familiären Gründen in diesem Jahr keine Geburten betreute, sondern eben nur so Kurse wie unseren anbot. Also entschieden wir erstmal alle weiteren Vorsorgetermine im Geburtshaus wahrzunehmen. Wir wussten bis dato nicht einmal, dass so etwas möglich ist. Wir waren so unwissend durch diese Schwangerschaft getapst, aber nun fühlte sich alles so richtig und gut an. Diese Entscheidung legte rückblickend betrachtet den Grundstein für unsere wachsende Familie.
Die Besuche zur Vorsorge im Geburtshaus waren so viel anders als bei der Frauenärztin. Voller Wärme und Empathie. Katharina sprach mit unserem Baby, sie nahm durch die Bauchdecke Kontakt auf und wurde nie müde, sich auch nach unserem Befinden zu erkundigen. Das war menschlich so stärkend und ermutigend, kein Patient zu sein, sondern eine werdende Familie.
Nachdem wir nun also mit Katharina einige Vorsorgeuntersuchungen gemacht hatten und wir ihr immer wieder den Wunsch offenlegten, doch gern im Geburtshaus entbinden zu wollen, vermittelte sie uns an Hebamme Katja weiter, die unsere Geburt übernehmen wollte. Wir waren erst skeptisch, weil diese mittels Bauchabtasten das Gewicht unseres kleinen Babys „ermittelte“. Laut Ultraschall der Fachärztin war unser kleines Mädchen nämlich zu klein für die Schwangerschaftswoche. Als ein Spezialist einige Tage später jedoch ihre Messmethode bestätigte (Katja 2500 Gramm; Spezialist 2450 Gramm) waren wir baff. Dieses und andere kleine Beispiele festigten unser Vertrauen in sie und das Geburtshaus. Wir freuten uns auf die Geburt mit ihr.
Naja, und in der Nacht von Sonntag auf Montag, den 7.6.2010 um halb eins, knapp 11 Tage vor dem eigentlichen Geburtstermin, begann Katjas Bauch komisch weh zu tun. Das hatte sie schon ein paarmal davor, aber jetzt gingen die Wehen auch nicht mehr durchs Baden weg. Leider konnten wir beide dann nicht mehr so richtig schlafen.
Vormittags – Katjas Wehen waren unverändert unregelmäßig – gingen wir nach nebenan zu unserer Hebamme Katja, um wiederum meine Katja untersuchen zu lassen. Aber so richtig viel konnte man noch nicht erkennen. Der Muttermund war zwar schon 1cm offen, aber die Wehen waren für das Messgerät und die Hebamme noch zu schwach. Trotzdem verabschiedete sie sich von uns mit „bis nachher – vielleicht“. Wir beide bekamen Muffensausen.
Ich musste leider im weiteren Tagesverlauf noch arbeiten gehen, weil ich mir natürlich erst Urlaub ab 18.6. genommen hatte. Dem errechneten Termin. Anfängerfehler! Also sagte ich allen Vorgesetzten vorsichtshalber Bescheid, dass ich unter Umständen eher nach Hause muss, was dann zwar letztendlich nicht notwendig war, aber dennoch eine Welle der Anteilnahme auslöste. Währenddessen war Katja noch gemütlich einkaufen gegangen – immer noch von Wehen geplagt. Dann hatte sie sich aber schlauerweise noch einmal hingelegt und die vier Beruhigungstabletten von der Hebamme artig aufgegessen. So konnte sie noch mal 3 Stunden ganz wichtigen Schlaf holen.
Als ich dann so gegen 22.30 Uhr von der Arbeit kam, aßen wir noch eine Kleinigkeit, während Katja die ganze Zeit vor sich hin wehte. Wir versuchten zu schlafen. Aber jetzt wurden die Abstände immer kürzer und die Schmerzen immer heftiger. So gegen halb zwei rief ich dann die Hebamme Katja an, die sich SOFORT auf den Weg machte. Wir nahmen unseren seit Wochen gepackten Koffer (gute Planung ist alles) und marschierten – also meine Katja schlich eher – eine Tür weiter ins Geburtshaus, wo wir uns gleich gemütlich einrichteten. Der rote Geburtsraum hatte es uns bei der Geburtshausbesichtigung besonders angetan und zum Glück waren wir in dieser Nacht die einzige Geburt und durften dort einziehen.
Alles fühlte sich wieder so richtig und gut an. Als wenn man von seinem Wohnzimmer in ein anderes geht.
Unsere Musik, unsere Laken, unsere Lieblingssachen, Kerzen und Duftzeug. Muttermund bei Ankunft schon 4cm und wir hofften auf eine rasche Geburt. Gleich als Erstes stiegen wir also beide in die Wanne im roten Zimmer, ließen uns von der Hebamme Katja und ihrer Hebammenschülerin Julia kalte Getränke reichen und schlossen Wetten auf die voraussichtliche Geburtszeit (5.47 Uhr) ab. Kein Witz – uns ging es richtig gut da drin und meine Katja riss einen Joke nach dem anderen. Unwissend, was noch auf sie zukommen sollte.
Ich war im Übrigen sehr froh, eine richtige Aufgabe zu haben, denn bei jeder Wehe hielt ich Katja fest und drückte großflächig auf die Lendenwirbel. Das schien zu helfen und so waren die Wehen auszuhalten.
Jedoch waren sie auf Dauer nicht stark genug, den Muttermund (inzwischen 6cm offen) größer und weicher zu bekommen, sodass Katja erst Akupunkturnadeln in den Kopf bekam und uns schließlich unsere Hebamme Katja nach ca.2 Stunden dann doch aus der Wanne lockte. Wir ruhten jetzt also auf dem Bett und waren beide schon ziemlich mitgenommen. Die Wehen wurden jetzt so dermaßen heftig und überrollten uns manchmal so unerwartet, dass Katja das Witzeln schnell verging und sie nach Luft schnappte.
Die Kräfte schwanden zusehends. Immer wieder schliefen wir zwischen den Wehen vor Erschöpfung ein. Immer so 3-4 Minuten, aber wir schliefen.
Leider war aber der Muttermund (stagniert bei 6cm) immer noch nicht groß und weich genug, sodass Katja ständig irgendwelches homöopathisches Zeug trinken musste, obwohl ihr schon längst schlecht war. So lagen wir dort gefühlte Stunden (in Wahrheit war es nur knapp 1 Stunde) auf dem Bett rum, ohne dass gefühlt irgendwas voran ging. Um die Sache zu beschleunigen, schlug uns unsere Hebamme vor, die Fruchtblase zu öffnen. Sofort schrie meine Katja „ja“.
Da war es so ca. 5.30 Uhr und dann endlich tat der Muttermund (7-8cm), was er soll.
Auf dem Bett gingen uns jetzt die Positionen aus, wir wechselten auf den Boden. Hier veratmeten wir ein paar ziemlich fiese Wehen. Plötzlich wollte meine Katja aufstehen und zur Toilette gehen, aber der immense Druck kam wohl vom kleinen Köpfchen, das nun raus wollte und ich bekam langsam richtig Angst um Katja. Sie wurde immer schwächer und begann an sich zu zweifeln, ob sie die Geburt schaffen würde. „Natürlich schaffst du es“, konnte unsere Hebamme Katja sie aber immer und immer wieder überzeugen. Überhaupt war sie zwar am Rand des Geschehens, aber jederzeit für uns präsent. Sie erdete und stützte uns. Hielt unsere Geburt am Laufen, ohne dass wir das als solches wahrgenommen hätten. Sie strahlte einfach eine solche Ruhe und Kompetenz aus, dass wir nie zweifelten, den richtigen Weg gegangen zu sein.
Die Wehen wurden nun so intensiv, dass es kaum mehr Pausen gab. Unter heftigstem Wehenschmerz äußerte meine Katja, auf allen Vieren kriechend, den Wunsch einfach nach Hause gehen zu dürfen. Unsere Hebamme schmunzelte in dem Wissen, dass nun das Finale bevorstand.
Ein paar Minuten später wollte meine Katja eine weitere Untersuchung, um sich selbst davon überzeugen zu können, dass es wirklich voran ging und sie nicht umsonst diesen Druck aushalten musste. Aber diese konnten sich die Beteiligten sparen, weil die gerade dazugekommene zweite Hebamme Susanne bereits das Köpfchen sehen konnte. Daraufhin schickte Susanne die Schülerin Julia erst mal Kaffee kochen, was mich ziemlich empörte. Wie sich jedoch später herausstellte, wollten die Hebammen keinen Kaffeeklatsch machen, sondern bereiteten mit dem Kaffee Kompressen, die das Dammgewebe wärmen und elastischer machen sollten.
Hier wechselte meine Aufgabe. Ich war nun dafür zuständig Katjas Bein – sie lag in Seitenlage – festzuhalten, um die ersten Presswehen besser zu unterstützen.
Und die waren gewaltig und voller Wucht. Das Köpfchen unserer Tochter zeigte sich zum ersten Mal.
Katja bekam gleich einen Spiegel, um das erste Mal unser Kind sehen zu können. Das schien wie ein Startsignal gewesen zu sein, denn nach 5-6 richtig fiesen und lauten Presswehen, begleitet von den lautstarken Anfeuerungen aller im Raum, kam mit einem Ruck ein kleiner Kopf zum Vorschein, der – festsitzend – sich skeptisch umschaute und sofort mit zartem Stimmchen seinem Unmut freien Lauf ließ. Die Stimmung wurde euphorischer und nach noch einer Wehe war der Rest des Körpers da. Wir sackten erschöpft zusammen, während die kleine Yara nur ganz kurz ein bisschen abgeputzt, in dicke Decken gepackt und uns an die Seite gelegt wurde. Dann waren wir für einen Moment allein und konnten unser Kind zum ersten Mal in den Händen halten.
Es ist 7.12 Uhr. Yara ist geboren.
Wir waren überwältigt. So unwirklich erschien uns das alles.
Nach wenigen Minuten war auch der Abnabelungsprozess abgeschlossen, unsere Hebammen kamen zurück in unseren Geburtsraum und die Nabelschnur konnte durchtrennt werden, was ich gerne übernahm. Ganz schön zähes Material kann ich nur sagen.
Dann bekam ich ein wimmerndes Paket Kind in die Hände gereicht, das man sich gar nicht richtig anzufassen traute.
SO klein, SO zierlich und weinte SO herzerweichend.
Aber da musste ich durch, denn meine Katja war mit der Nachgeburt beschäftigt, welche uns nachher zum Kosten angeboten wurde. Es gibt Kulturkreise, in denen das völlig normal ist, die europäische Variante zieht allerdings die Plazenta gebraten vor. Weil ich zu lange zögerte und Katja dankend aber heftig ablehnte, verschwand die Nachgeburt im Mülleimer.
Die kleine Yara wurde jetzt noch vermessen und gewogen (die Facts: 2790 Gramm, 50 cm, 34 cm Kopfumfang) und Hebamme Katja zeigte mir, wie ich unsere Tochter wickeln und anziehen konnte – hatte ich bis dahin ja noch nie gemacht.
Dann konnten wir zu dritt schmusen und uns ausruhen und bekamen sogar noch ein kleines Frühstück gereicht. Alle Hebammen sangen ein Geburtstagsständchen und stießen mit uns auf die kleine Yara an. Leider musste ich dann auch noch ein bisschen Schreibkram machen bzw. unterschreiben, aber dann wurde das Namensschild bepinselt und gleich draußen am Storch angebracht. So oft hatten wir in den letzten Wochen dieses Schild bewundert und nun standen wir selbst darauf.
Voller Stolz halte ich heute meine kleine Tochter Yara in den Händen und empfinde tiefste Dankbarkeit für Katjas, Susannes und Julias Hilfe vor, während und nach ihrer Geburt.
Und wisst ihr, was unsere Hebamme Katja zu uns sagte, als wir gegen 10 Uhr das Geburtshaus verließen, um nach nebenan in unser Wochenbett zu verschwinden? Sie flüsterte: „Das war so schön, das machen wir nochmal, okay?“
Und das haben wir. Noch weitere 5 Kinder wurden mit unserer Hebamme Katja geboren. Weil es eben nicht egal ist, wie wir geboren werden und weil der Einfluss der Geburtshelfer wegweisend für das weitere Leben sein kann.
Die Entscheidung unsere erste Geburt im Geburtshaus zu erleben, war eine der besten Entscheidungen unseres Lebens. Sie legte den Grundstein für unsere weitere Familie und prägt uns bis heute.
Danke dafür!
Ein Papa
Ein Bericht von Micha