IMPRINTING – Die heilige Zeit zwischen Geburt und Nachgeburt
„Wie erlebt ihr die heilige Zeit des Imprintings, also der Zeit zwischen Geburt und Nachgeburt? Was geschieht dort mit den Eltern, dem Kind? Inwiefern ist diese Zeit wichtig, um das Erlebte zu verdauen und auf dieser Welt anzukommen?“ (Frage von Bastian Barucker)
Die Geburt und die Zeit bis zur Vollendung der Geburt mit der Nachgeburt sind für alle Beteiligten, aber vor allem für Mutter und Kind emotional unterschiedlich.
Oftmals ist diese Zeit mit Stille und Dankbarkeit, Staunen über das neue Erdenwesen und Stolz auf die Kraft der Frau bei der gerade geschehenen Geburt gesegnet.
Alle geborenen Kinder brauchen meist einen Moment, um nach ihrer anstrengenden Reise in unserer Welt anzukommen und es ist verschieden, wie sie reagieren. Die einen sind ruhig – erschöpft oder staunend –, die anderen weinen, aber in jedem Fall ist es für alle Anwesenden ein überwältigendes Erlebnis. Der erste Moment und der erste Atemzug nach der Geburt sind etwas Besonderes für Mutter und Kind. Und das, was gerade passiert ist, ist schwer zu begreifen – dieses Wunder Geburt.
Erleichterung erfüllt den Raum, der vorangegangene Schmerz schwindet und ist in dieser Situation nicht mehr vorhanden. Es wird geweint und gelacht, sich umarmt und geküsst. Meist normale Bilder und Ereignisse aus dem Geburtshausalltag.
Aber was geschieht da eigentlich und was macht die sensible Zeit zwischen Geburt und Nachgeburt so einzigartig, so wichtig?
Neben den sichtbaren Ereignissen dieser Phase laufen nahezu unbemerkt wichtige hormonelle, körperliche und seelische Prozesse bei Mutter und Kind ab.
Oxytocin – das Bindungshormon
Um die Geburt möglich zu machen, muss der Körper der Frau in der Schwangerschaft und insbesondere kurz vor der Geburt viele Hormone freisetzen. Neben anderen wie Prostaglandinen und Östrogenen ist das vor allem Oxytocin.
Oxytocin kommt aus dem Griechischen und bedeutet „schnelle Geburt“.
Die Dichte von Oxytocinrezeptoren im Gewebe der Gebärmutter (Uterus) nimmt zu und es ist verantwortlich für das Einsetzen der Geburtswehen und das Rhythmisieren der Wehen. Es reduziert Stress und Schmerz, fördert den Milchfluss und sorgt für Bindungsfähigkeit.
Nie wieder ist der Oxytocinspiegel bei Mutter und Kind so hoch wie kurz nach der Geburt.
In einem einander bedingenden Wechselspiel ermöglicht die hohe Ausschüttung des Oxytocins eine Bindungsintensivierung von Mutter und Kind, wobei wiederum durch die innige Nähe von Mutter und Kind während des Imprintings Oxytocin gebildet wird.
Das Imprinting
Imprinting ist die Prägung eines Neugeborenen auf die Mutter. Wie ein neugeborener Vogel orientiert sich das Kind an der Person, die es in den ersten Lebensstunden versorgt. Beide sind in tiefer Liebe verbunden und brauchen Raum und Ruhe für sich. Denn nicht nur das Kind wird geboren, sondern auch die Frau als Mutter.
Um die Bindung zwischen Mutter und Kind festigen zu können, braucht es in den ersten Minuten nach der Geburt das Imprinting. Es ist das tiefe (Wieder)Erkennen von Mutter und Kind.
Das Imprinting als erste Verbundenheitsphase zwischen Mutter und Kind kann auch als die erste Stufe des Bondings nach der Geburt verstanden werden.
Das Baby erfährt während des Imprintings seine Mutter mit allen Sinnen das erste Mal außerhalb des Mutterleibs, wenn es ihr auf den Körper gelegt wird.
Es fühlt den innigen Hautkontakt und ihre Wärme, die sanften Berührungen ihrer Hände. Es hört die (bekannte) Musik des Herzens der Mutter und die vorher gedämpfte Stimme, wenn sie es flüsternd willkommen heißt.
Es riecht sie, wenn es sich den Weg zur Brust sucht und schmeckt sie beim ersten Anlegen. Es erkennt sie wieder!
Diese Phase nach der Geburt sollte möglichst ungestört sein. Die Eltern und das Kind dürfen ausgiebig zusammen kuscheln, sich angucken, staunen und freuen.
Oftmals wird in der Zeit auch der Name für das Kind festgelegt.
Der Abschied des Kindes von seinem „besten Kumpel“
Die Plazenta (auch Mutterkuchen genannt) versorgt über die Nabelschnur den Fötus im Mutterleib nicht nur mit Nährstoffen und Sauerstoff und schützt als Barriere gegen schädliche Einflüsse, sondern mit der Plazenta wird ausgiebig gekuschelt und mit der Nabelschnur gespielt.
Die Zeit, bis die Plazenta sich auf den Weg macht, ist unterschiedlich lang. Sie darf aber nicht zu lange sein, um Blutungen zu vermeiden. Die Geburt der Plazenta kann mit letzten Geburtsanstrengungen verbunden sein.
Wenn die Plazenta da ist, wird gewartet und von der Hebamme gefühlt, wann die Nabelschnur aufhört zu pulsieren, um diesen „besten Freund des Kindes“ dann abzunabeln.
Die Familie entscheidet in Gesprächen vor der Geburt, wie sie diesen Prozess zelebrieren möchte: Klassisch mit dem Durchschneiden der Nabelschnur, dem Durchbrennen oder mit einer sogenannten „Lotus-Geburt“, bei welcher Plazenta und Nabelschnur von selbst abfallen.
Der Plazenta-Smoothie oder das Mitnehmen der Plazenta, um diese zu vergraben sowie die Herstellung von Plazenta-Nosoden sind moderne Rituale der Wertschätzung dieses besonderen Begleiters des Kindes.
Alles darf in Ruhe geschehen, denn jeder Moment ist wichtig – an manche erinnert man sich noch Jahre später.
Auswirkungen des Imprintings
Durch das Imprinting können sofortige und langfristige positive Effekte festgestellt werden.
Schmerzen, Stress, Ängste und Traumata von Mutter und Kind während des Geburtsprozesses können sich entspannen und lösen. Beide können sich nach der gemeinsamen Anstrengung erholen, sich gegenseitig stärken und heilen.
Über die Plazenta hat das Ungeborene während der Schwangerschaft sämtliche Hormone der Mutter, ausgelöst durch ihre Erfahrungs- und Gedankenwelt, erhalten. Das Kind erlebt so unmittelbar die Gefühle seiner Mutter. Hier beginnt im Grunde schon ein innerkörperlicher Prägungsprozess. Der Hormoncocktail in der Schwangerschaft beeinflusst darüber hinaus ein ganzes Leben lang die Gefühls-, Beziehungs- und auch Resilienzfähigkeit des Menschen. Neben der hormonellen Verbindung über die Plazenta ist nach der Geburt die sensorische Verbindung mit dem Kind durch Imprinting/Bonding zur Komplettierung des Prozesses existenziell wichtig, um späteren Defiziten vorzubeugen.
Emotionale, soziale und kognitive Grundlagen für die Entwicklung werden gelegt und gefestigt. Die psychische Widerstandskraft wird positiv beeinflusst. Das Kind erhält ein gefestigtes Urvertrauen in die Welt und in sich selbst – durch ein (immer wieder) bestätigtes Vertrauen in die Geborgenheit und Liebe seiner Mutter.
Imprinting legt den Grundstein für einen Menschen, der sich von Anfang an angenommen, sicher und wohl fühlen darf.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass auch das Bonding von Vater und Kind eine wichtige Rolle spielt. Schon in der Schwangerschaft kann er durch Streicheln des Bauches oder Gespräche Kontakt zum Ungeborenen herstellen, die Mutter stärken und unterstützen, sodass sie ausgeglichen und glücklich ist. Nach der Geburt findet auch hier ein „Wiedererkennen“ statt.
Damit der Vater das Kind genauso annehmen kann wie die Mutter, hat sich die Natur genialer Weise etwas einfallen lassen. Der Säugling ähnelt nach der Geburt häufig dem Vater mehr als der Mutter. Dies stärkt die Identifikation als Vater, das Zusammengehörigkeits- und Fürsorgeempfinden.
Die Bindung von Vater und Kind ist in den ersten Jahren für das Kind als Säugling naturgegeben nicht so überlebenswichtig wie die Verbindung zur nährenden Mutter, aber langfristig gibt sie dem Kind einen Rahmen, Halt und Stärke.
Unser Handling
Nicht nur soll den Familien der größtmögliche Freiraum zur Ungestörtheit zur Verfügung gestellt werden. Auch braucht es die geschulten Augen der Hebamme zu jedem Zeitpunkt die Lage richtig einzuschätzen und die Sicherheit von Kind und Mutter nachgeburtlich zu gewährleisten. Es ist in jedem Fall die sensibelste Phase, die unserer ganzen Aufmerksamkeit bedarf!
Um den Bindungsprozess von Mutter und Kind ungestört zu ermöglichen, erfolgt die Trennung von Mutter und Kind für die sogenannte U1 (das Testen und Protokollieren der Vitalfunktionen, Wiegen und Messen) so kurz und spät wie möglich.
Erst 4-5 Stunden nach der Geburt, wenn Mutter und Kind gut versorgt wurden, wird das Kind gewickelt und angezogen, damit dann alle gemeinsam nach Hause fahren können.
Die leitende Hebamme ist noch 24 Std. nach der Geburt einsatzbereit und guckt in engmaschigem Abstand während des folgenden Wochenbetts nach Mutter und Kind.
Unsere Erfahrung ist, dass das Gehaltenwerden, das Sichgeborgenfühlen, die Gewissheit in guten Händen zu sein, das jede Emotion und jedes Gefühl seine Berechtigung hat und Raum bekommt, Vertrautheit und Wärme den Prozess der Geburt zu einem wunderschönen Erlebnis machen und auch in verzwickten Situationen ein absoluter Game-Changer sein können. Und wenn die Mutter sich angenommen und geborgen fühlt, kann sie das an ihr Kind weitergeben.
Leider können nicht alle Mütter in einer liebevollen Atmosphäre gebären und die ersten, wichtigen Momente mit ihrem Kind in Ruhe genießen.
Sie werden durch die Krankenhausroutine und aus Unwissenheit gestört oder eine Geburt mit Komplikationen steht im Weg.
Aber auch wenn die Mutter-Kind-Beziehung nicht perfekt beginnen kann, gibt es die Möglichkeit durch viel gemeinsame Körperlichkeit, z.B. ein Bondingbad, die Bindung zu intensivieren, Traumata zu lösen und Versäumtes auszugleichen.
Ein Artikel von Silke und Anke